Überlegungen zu einer textuellen Definition von Internet-Memes

  • Lorenz Grünewald-Schukalla Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
  • Georg Fischer Technische Universität Berlin

DOI:

https://doi.org/10.15460/kommges.2018.19.2.602

Schlagworte:

Definition, Internet, Medienkultur, Meme, Viralität

Redaktion und Begutachtung

  • Jan-Hinrik Schmidt Leibniz-Institut für Medienforschung, Hamburg (HBI)
  • Klaus Schönberger Universität Klagenfurt

Abstract

In diesem Kurzbeitrag werden einige Überlegungen zu einer textuellen Fassung des Meme­begriffs vorgestellt. Dafür wird eine Problematisierung des Memebegriffs und seiner sozio­biologischen Anteile vorgenommen. Anschließend wird gezeigt, warum es trotz theoretischer Schwächen wichtig ist, am Begriff des Memes festzuhalten und ihn als textuelles Konzept zu verstehen. Zentral ist der Versuch, die begrifflichen Reibungen produktiv zu machen. Anhand eines Spannungsfeldes von Originalität und Viralität, das gleichzeitig den konzeptuellen Rahmen der Sonderausgabe darstellt, wird so ein Verständnis entwickelt, bei dem Memes zwischen ihrer konkreten Erscheinung als Text und einem abstrakten Meta-Text alternieren.

1 Zur Begriffsgeschichte von Memes

Das Phänomen viraler Internet-Memes wurde in seiner Breite erst durch digitale Netzwerkmedien möglich. Wenngleich Memes historische Vorläufer haben (siehe den Beitrag von Stephanie Dreyfürst in dieser Ausgabe sowie UIlrich 2016), ergaben sich ihre enorme Dy­na­mik und die besonderen Formen der Referenzialität (Stalder 2016: 97) erst aus der tech­ni­schen Reproduzierbarkeit digitaler Medieninhalte. Während dieser Entwicklung hat die Se­man­tik des “Memes” dabei selbst eine memetische Karriere hingelegt (vgl. Knobel/ Lankshear 2007: 202). Richard Dawkins’ (1978) soziobiologisch und biolinguistisch gefärbter Begriff des Memes wurde als kulturelles Gegenstück zum Gen, das sich viral reproduziert, entwickelt. Der Evolutionsbiologe Dawkins und seine Nachfolger_innen versprachen sich neue Erkenntnisse über gesellschaftliche und kulturelle Reproduktion, indem sie Menschen als passive Wirte für ein Meme konzeptualisierten (Blackmore 2000: 8).

Ab den 1990er Jahren entkoppelte sich dieses Konzept von seinen theoretischen Bezügen und wurde als populärkultureller Phänomenbegriff für digitale, das heißt technisch reproduzierte und manipulierte Objekte in der Internetkultur angeeignet. Im Gegensatz zu Dawkins’ sozio­biologischem Begriff steht der populärkulturelle Begriff jedoch gerade nicht für langlebige, sich im survival of the fittest anpassende Phänomene, sondern für kurzweilige, populäre Hypes (Knobel/Lankshear 2007: 203; Shifman 2014: 20).

In der Wissenschaft wird Dawkins’ Meme-Begriff beispielsweise genutzt, um die Idee des kulturellen evolutionären Wettbewerbs für die Managementforschung oder die Unter­nehmens­­kommunikation fruchtbar zu machen (vgl. Pech 2003; Csordás et al. 2017). Allerdings wurden Dawkins und Blackmoore für die Unterschlagung menschlicher Agency vielfach aus den Sozial- und Kulturwissenschaften kritisiert (vgl. Conte 2000: 87f.; Shifman 2012; Jenkins et al. 2013: 18ff.). Obwohl der soziobiologische Meme-Begriff nicht klären kann, warum Leute Memes nicht nur imitieren, sondern sich für die Teilhabe an einem Meme entscheiden, damit Sinn produzieren oder auch Memes verändern, hält er sich aber hartnäckig.

Limor Shifman (2013) bezeichnet Internet-Memes daher als “konzeptuelle Störenfriede”, bei denen begriffliche Probleme zwar offensichtlich sind, jedoch zur Beschreibung ebenso offensichtlicher Phänomene bisher kein adäquater Ersatz gefunden wurde. Im Sinne Stuart Halls (1996) empfehlen wir, mit dem Begriff in seiner problematisierten Form weiter zu arbeiten und seine internen Spannungen produktiv zu nutzen.

2 Auf dem Weg zu einem textuellen Meme-Begriff

Um die Bandbreite memetischer Phänomene berücksichtigen zu können, beziehen wir uns auf den erweiterten Textbegriff, der auch Bilder, Videos, Musik, Tänze, Kleidungsstücke etc. als les- und schreibbare kulturelle Objekte und Performances versteht (Barker 2011: 10f.). Damit wird ein textueller Memebegriff fokussiert, der den breiten soziobiologischen Begriff ein­schränkt. Auch wir verstehen die um Memes herum angeordneten Praktiken als aktives Han­deln, in welchem Sinn für die Mit-Teilenden konstituiert und kulturelle Zugehörigkeiten artiku­liert werden (Jenkins et al. 2013: 18ff.). Memetisches Handeln ist somit nicht als Virus zu verstehen, der unwissend und gegen den Willen eines Akteurs verbreitet wird: Innerhalb von Meme-Praktiken ist die Erstellung weiterer Versionen eines Memes immer mit einer bestimmten Intention, Bedeutung oder Position verbunden und kann auch unterlassen werden.

2.1 Zwischen individuellen Beiträgen und kollektiver Dynamik

Neben den Spannungen zwischen Imitation/Verhalten und Aneignung/Agency stellt sich auch die Frage danach, was ein Internet-Meme eigentlich ist. Nahezu alle Autor_innen dieser Sonderausgabe beziehen sich auf die geläufigsten Definitionsversuche, wie sie von Shifman vorgelegt wurden:

"I suggest defining an Internet meme as (a) a group of digital items sharing common characteristics of content, form, and/or stance; (b) that were created with awareness of each other; and (c) were circulated, imitated, and/or transformed via the Internet by many users“ (Shifman 2014b: 7f.).

Shifmans Definition ist in der deutschen Fassung ihres Buches (“Meme. Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter”) denkbar ungenau übersetzt. Hier werden Memes tautologisch als “in bewusster Auseinandersetzung mit anderen Memen erzeugt” definiert (Shifman 2014a: 44). In der oben angeführten englischen Originalversion ist Shifmans Definition hingegen hilfreich, weil sie dazu anregt über die Grenzen einzelner Einheiten den Blick hin zu einem Begriff zu wen­den, der die kollektiven Anteile besser abbildet. Mit Shifmans Definition kann ein Meme nie­mals als ein einzelner Text gedacht werden, sondern nur als Zusammenhang mit anderen Texten.

Die Manifestation eines Memes kann damit als komplexe Artikulation zwischen Praktiken der Performance, des Variierens und Teilens beschrieben werden, wie die folgenden Abbildungen des “Confused Travolta”-Memes illustrieren: im Originalkontext als Moment im Film “Pulp Fiction” (Abb. 1), als Variante im Internet (Abb. 2) sowie als Kostüm auf einer Party (Abb. ¿fig:abb3?).

Abbildung 1: Das originale Confused Travolta Meme. Quelle: Confused Travolta 2015
Abbildung 2: “MRW I ask my daughter what she wants for Christmas and she says,”A doll."“. Quelle: ReBeL222 2015
Das Confused Travolta Meme als remediatisierte Live-Performance. Quelle: mariathalitadepaula 2016 (Screenshot)

Neben aller Agency ist nach wie vor die virale Reproduktionslogik, die der Memebegriff in seiner soziobiologischen Konzeption so stark machte, als zentrales Merkmal zu berücksichtigen. Denn ungeachtet des Sinngehalts individueller Handlungen fordern Memes zur Produktion neuer Versionen auf, wodurch sie oft ein Eigenleben entwickeln. Im Zusammenwirken der vielfältigen Texte und der Prozesse ihrer Produktion, Zirkulation und Aneignung ergibt sich also etwas, das mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Aus dieser Perspektive bezeichnet Viralität damit nicht (nur) die Wahrscheinlichkeit, dass Inhalte geteilt werden (vgl. Berger/Milkman 2012), sondern auch Momente von Emergenz, in denen das Memetische außerhalb und zwischen einzelnen Texten liegt. Memes sind offene Objekte, Metaprodukte (Hellmann 2003: 96ff.), oder besser Meta-Texte aus vielen Texten, die immer nur partiell erscheinen (vgl. Lury 2004: 1).

Rosaria Conte (2000: 86) weist darauf hin, dass die Entwicklung von Memetheorie eng mit der Anwendung computergestützter Modellierung verbunden ist. Das Eigenleben von Memes wird damit oft mit Ansätzen wie der “Diffusion of Innovations” erforscht (Rogers 1983; vgl. Russ 2007). Im Zentrum des Interesses liegt die Frage danach, wie einzelne oder wenige Texte aufgegriffen und verteilt werden. Innerhalb dieses Verständnisses lassen sich Memes als mess- und definierbare Einheiten mit operationalisierbaren Formen verstehen. Das emer­gen­te Produkt wird durch das Auftreten zahlreicher Manifestationen wie Bildern oder Hash­tags vermessen und Meme-Prozesse werden in Phasen eingeteilt (z.B. Csordás 2017: 251). Manche Studien untersuchen Memes auf ihre inhärenten Eigenschaften hin. Sie versuchen zu verstehen, wie bestimmte Formen und Inhalte von Memes ihre Chancen verbessern, geteilt, adaptiert und somit reproduziert zu werden (Berger/Milkman 2012, Shifman 2014a)1. Schon frühere Forschung zu Online-Phänomenen verweist auf solche Prozesse mit Kettenreaktionen, die ab einer kritischen Masse von Handlungen wie von selbst ablaufen (Russ 2007).

Neuere Ansätze versuchen auch die Memes selbst sowie die individuellen und sozialen Kon­texte in den Diffusionsprozess zu integrieren (Spitzberg 2014). Sie stellen einen erheblichen Mehr­wert in der empirischen Erforschung der Bewegungen von Memes durch Zeit und Raum dar. Auch verweisen sie auf Ungleichheitsverhältnisse in diesen Prozessen, die durch macht­volle Akteure wie Medienorganisationen oder “Opinion Leaders” beeinflusst werden (siehe Bülow/Johann in dieser Sonderausgabe).

2.2 Internet-Memes zwischen Partizipation und Reproduktion

Dass Memes mit einem Eigenleben betrachtet werden, ist jedoch nicht alleine darin be­grün­det, dass die methodischen Zugänge der Diffusionstheorie und der Computermodellierung einen solchen Blick auf die empirische Welt nahelegen. Internet-Memes forcieren in der Tat auch ihre eigene Reproduktion durch Partizipation: Zum einen, indem sie einen gewissen Zeitraum vorgeben, in dem die Teilhabe an einem Meme wertvoll ist; zum anderen, indem sie einen gewissen Rahmen an Schemata, Formen und Inhalten erlauben und einfordern.

Verdeutlicht werden kann dies an einem Befund aus einer Studie zu Praktiken von YouTuber_innen. Dort sagte eine Memeproduzentin: “Da kann man reiten auf diesen Memes” (Grünewald-Schukalla 2018). Die Teilhabe an einem Meme war für sie mit Struktur­momenten verbunden: Die Geschwindigkeit und der Zeitpunkt, mit der Memes anschwellen und abebben, und somit die Möglichkeiten an ihnen teilzuhaben, können nur schwer voraus­gesehen werden. Eine neue Version eines YouTube-Videos musste daher schnell pro­du­ziert sein, bevor der Trend abflaute. Die Teilhabe an solchen schwer vorhersehbaren Wellen produziert also Zeitdruck. Daraus folgt, dass Memes nicht nur Objekte, sondern auch Er­eig­nisse sind. Die Teilhabe an solchen Ereignissen wird von vielen als besondere Erfahrung er­lebt, die die Reproduktion eines Memes wahrscheinlicher macht (Grünewald-Schukalla 2018; vgl. Lash/Lury 2007). Dabei müssen bestimmte textuelle Formelemente eingehalten werden, damit ein neuer Text als Teil eines Memes erkannt wird (zum Beispiel durch die Verwendung bestimmter Tags).

Der Befund macht zudem deutlich, dass Memes als alltägliche kommunikative Praxis fungieren, in der die kreative Veränderung, Verbreitung und Aneignung kultureller Formen auch jenseits messbarer Wellen großer und bekannter Memes Berücksichtigung finden muss. Die individuelle Motivation zur kommunikativen Partizipation an Memes ist dabei sehr variabel: Der Meta-Text Meme wird in konkreten Situationen als konkreter Text von Ak­teu­ren genutzt, um sich zu unterhalten (Ullrich 2016), etwas zu politischen Bewegungen bei­zu­tragen (Shifman 2014: 114ff.), sich kulturell zugehörig zu machen oder bestimmte Er­fahrun­gen des Flows und des In-Der-Welt-Seins hervorzubringen (Grünewald-Schukalla 2018, siehe auch den Beitrag von Konstantin Hondros in dieser Ausgabe). Eine reine Viralität, bei der ein Text gänzlich ohne Modifikation verteilt wird, kann es dabei nicht geben. Teilen in digitalen Kontexten ist immer ein sich Mit-Teilen, das meist gewisse Modifikationen des Textes beinhaltet und durch die Platzierung in immer neuen Kontexten auch neue Bedeutung produziert (Haupt/Grünewald 2014). Jeder Text produziert neue Anteile von Originalität, gleichzeitig verstetigt sich das Meme viral in oder über verschiedene Kontexte hinaus.2

2.3 Das Meme als Meta-Text

Die Diskussion zeigt, dass die textuelle Ebene von Memes um den Aspekt eines Meta-Textes erweitert werden kann. Ähnlich wie andere abstrakte Objekte, beispielsweise Handelsmarken, liegen Memes als eine Beziehung zwischen immer neuen Texten vor (vgl. Hellmann 2003: 96ff.; Marshall 2012). Das Meme ist in diesem Fall jedoch nicht der Text, sondern ein außerhalb dieser Texte liegendes, offenes und dynamisches Objekt. Dieses abstrakte Objekt entsteht, indem sich Memet_innen nicht (nur) auf einen originalen Text beziehen, sondern auf seine abstrakteren Eigenschaften. Dies können inhaltliche und formale Eigenschaften des Objektes oder seine Haltung sein, wie es Shifmans Definition nahelegt. Jedoch tritt der Meta-Text in der Regel nicht selber in Erscheinung, außer er wird durch Probleme oder Störungen sichtbar gemacht, beispielsweise durch den Hinweis auf ein “falsch” eingesetztes Meme in einer Online-Unterhaltung oder durch diskursive Kontroversen darüber, ob ein Text Teil eines Memes ist oder nicht. Diese Entscheidung ist immer die Konsequenz diskursiver Praktiken oder methodischer Entscheidungen (vgl. Schober 2013). Der Meta-Text manifestiert sich nur partiell in den konkreten Texten (vgl. Lury 2004: 1). Durch diese in Memes grundlegend eingeschriebene digital-diskursive Logik, werden auch tradierte individualistische Konzepte der Originalität, Autorschaft und Werkherrschaft herausgefordert oder unterwandert.

Ein Internet-Meme ist damit nicht wie in Shifmans Definition nur eine “Gruppe von Texten”, sondern ein abstrakter Meta-Text, der in der Beziehung dieser Texte emergiert. Dazu gehört, dass die Praktiken, in denen Memes entstehen, reflexiv erwartet werden. Akzeptiert man diese grundlegende Einsicht, liegt die Schlussfolgerung nahe, neben den textuellen Ausprägungen eines Memes besonders die sozialen, das heißt Sinn stiftenden Praktiken der Memet_innen und ihre jeweiligen Motivationen als Untersuchungsgegenstand ebenso ernst zu nehmen wie die Annahme, dass Memes ein relatives Eigenleben entwickeln.

3 Der textuelle Memebegriff im Spannungsfeld von Originalität und Viralität

Wie lassen sich die unterschiedlichen Herangehensweisen und Spannungen zwischen den un­ter­schiedlichen Memebegriffen integrieren? Vor dem Hintergrund der konzeptuellen Heraus­forderungen schlagen wir das Spannungsfeld von Originalität und Viralität als analytischen Rahmen vor. Die grundlegende Denkfigur hierbei ist die einer Pendelbewegung: Wir nehmen an, dass Memes zwischen ihrem Modus als Meta-Text und ihren konkreten Formen hin- und herpendeln, also alternieren. Über die folgenden vier Merkmale von Memes soll es möglich werden, verschiedene Pendelbewegungen idealtypisch einfangen zu können:

  1. Originalität: Damit sollen der oder die textuellen Ausgangspunkte eines Memes markiert werden. In manchen Fällen ist der Ursprung eines Memes eindeutig identifizierbar (zum Beispiel als dekontextualisierter Ausschnitt aus einem Film). In anderen Fällen generiert sich ein Meme nicht über einen konkreten Text, sondern über ein abstraktes Muster oder ein allgemeines Schema, das zu einem kopierbaren Text und damit zur Vorlage für Varianten wird (zum Beispiel die “LOLcats”, vgl. Shifman 2014a: 59).

  2. Aneignung: Damit sind alle Praktiken bezeichnet, durch die ein fremder Text zu Eigen gemacht, also transformiert und reproduziert wird. Gemeint sind referentielle Praktiken wie u. a. Variation, Rekombination, Persiflage, Remix, Imitierung, Remake oder Hommage. Oft lassen sich diese Praktiken innerhalb einer bestimmten Plattform oder eines anderen sozialen Kontexts beobachten, wie beispielsweise einem Forum oder einer Chatgruppe. Die Praktiken der Aneignung von Texten werden von jeweiligen Meta-Texten begleitet und durch sie bestimmt.

  3. Meta-Text: Jedes Meme, egal ob es einen identifizierbaren Ursprung aufweist oder nur als Schema zu erkennen ist, kann damit nicht nur als eine Ansammlung von ähnlichen Texten bestimmt werden, sondern als neuer, abstrakter Meta-Text, der aus diesen entsteht und sich in neuen Texten aktualisiert. Damit verbunden sind auch eingeschriebene Hinweise zur Bedienung eines Memes, beispielsweise hinsichtlich der Frage, in welchen Fällen eine Meme eingesetzt oder wie es korrekt erweitert, verändert oder rekombiniert werden kann.

  4. Viralität: Der virale Aspekt betont Ausdehnung und Verstetigung in Raum und Zeit durch die genannten Aneignungspraktiken. Zwei generelle Richtungen sind denkbar: Einerseits das Verhaftet-Bleiben eines Memes innerhalb seines ursprünglichen Kontexts. Andererseits das Eindringen in neue Kontexte, in denen andere gesellschaftliche Gruppen den Text aneignen, umschreiben und symbolisch rekodieren (vgl. Hemsley/Mason 2013: 144). So entfernen sich die Texte zunehmend von ihrem Ursprung und entwickeln ein Eigenleben.

So wie andere theoretische Modelle ist auch das hier vorgeschlagene als analytisches Instrument zu verstehen, in dem rekursive Schleifen, Überlappungen und ähnliche Formen des “Hin und Her” explizit mitgedacht sind. Gerade bei Memes wird dies durch das Spiel zwischen Text und Meta-Text besonders deutlich. Über die empirische Bestimmung und Gewichtung der verschiedenen Merkmale ließen sich beispielsweise verschiedene Typen von Memes unterscheiden und hinsichtlich ihrer Verläufe untersuchen.

Abbildung 3: Meme im Spannungsfeld von Originalität und Viralität. Quelle: Eigene Darstellung

4 Schluss: Methodische und programmatische Konsequenzen

Die Pendelbewegung in dem von uns skizzierten textuellen Meme-Begriff verlangt eine Bezugnahme auf die Praktiken der Memet_innen und die Frage danach, wie sie ihren Welten durch Memes Sinn geben, nach Ansätzen, die in der Lage sind Aussagen über den Meta-Text eines Memes zu treffen. Gleichzeitig ergibt sich aber auch die Forderung nach skalierbaren Modellen, die die Bewegungen von Memes nachvollziehen können. Neben statistischen Modellen und den Big Data-Methoden der Diffusionsforschung wie im Beitrag von Bülow und Johann in dieser Sonderausgabe braucht es Methoden, die Memes als konkreten Text im Verwendungszusammenhang deuten können (vgl. die Beiträge von Sascha Oswald und Simon Möbius). Gleichzeitig muss mehr Wissen darüber geschaffen werden, wie Memes zwischen ihrem Modus als Meta-Text und als konkrete textuelle Praktik hin und her alternieren, wie dies im Essay von Konstantin Hondros untersucht wird. Dabei ist es auch zulässig, Memes wie Sebastian Baden und Giannina Herion als Objekt mit einem Eigenleben zu analysieren, solange die Agency in den Aneignungspraktiken nicht ignoriert wird. Solche heterogene Perspektiven und Methoden erfordern die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Hermeneutiker_innen, Statistiker_innen und Informatiker_innen und auch kritischen Theoretiker_innen, die die Implikationen unserer Begriffsarbeit eruieren (vgl. den Beitrag von Jana Herwig). Wir hoffen mit unserer definitorischen Skizze einen Beitrag zu einer solchen interdisziplinären Arbeit zu leisten.

5 Literatur

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Interessenskonfliktstatement

Die Autor:innen erklären, dass ihre Forschung ohne kommerzielle oder finanzielle Beziehungen durchgeführt wurde, die als potentielle Interessenskonflikte ausgelegt werden können.


  1. Solche Autor_innen, die den neo-darwinistischen Ideen nahe stehen, versuchen dann auch Rückschlüsse auf die ‘Fitness’ von Memes zu ziehen, die, mit anderen Memen im Wettbewerb stehend, überleben müssen (Pech 2003, Spitzberg 2014)↩︎

  2. Deutlich macht dies auch Konstantin Hondros, der in seinem Beitrag den aufregenden Moment beschreibt, als er ein Meme wieder erkennt: “Es ist ein Meme!” Der Begriff des Memes ist damit immer auch ein Wertbegriff, der durch die Wertideen der Memeforscher_innen und –praktiker_innen geprägt ist (vgl. Weber 1992: 217). Daher müssen wir in unserer Begriffsbildung immer auch sensibel für Machtverhältnisse, Sichtbarkeiten und (Erkenntnis)interessen bleiben.↩︎

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  1. Staat und Staatlichkeit im digitalen Zeitalter
    (2023)
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    DOI: 10.14361/9783839470657

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2017-05-01

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2017-12-01

Veröffentlicht

2018-03-01