Demokratieförderung in Third Places

Herausforderungen und Möglichkeiten in Öffentlichen Bibliotheken

  • Josefine O. Sandwall Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Deutschland
    Studierende im 4. Semester des Bachelorstudiengangs Bibliotheks- und Informationsmanagement

DOI:

https://doi.org/10.15460/apimagazin.2025.6.2.251

Schlagworte:

Third Place, Demokratie, Teilhabe, Bibliotheken

Begutachtung

  • Prof. Christine Gläser HAW Hamburg

Abstract

Der gesellschaftliche Zusammenhalt leidet zunehmend unter dem Rückzug in homogene soziale Räume. Der Beitrag untersucht, inwiefern sogenannte „Third Places“ – öffentliche, freiwillig zugängliche Orte außerhalb von Arbeit und Zuhause – demokratische Teilhabe fördern können. Am Beispiel Öffentlicher Bibliotheken wird aufgezeigt, wie solche Orte informelles Lernen, interkulturellen Austausch und politische Bildung ermöglichen. Neben theoretischen Grundlagen werden auch historische Kontexte sowie aktuelle Veranstaltungsformate wie „Human Library“ oder „Bunt statt Braun“ herangezogen. Der Artikel plädiert dafür, das demokratische Potenzial von „Third Places“ stärker zu nutzen, um dem gesellschaftlichen Rechtsruck und der sozialen Fragmentierung entgegenzuwirken.

1 Einstieg

Gesellschaftlicher Zusammenhalt basiert auf Austausch, Perspektivwechsel und dem Dialog zwischen Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Meinungen und Lebensrealitäten. Doch gerade daran mangelt es zunehmend: Viele Menschen bewegen sich fast ausschließlich in sozialen Räumen, in denen sie auf Gleichgesinnte treffen – sei es im Freundeskreis, in der Familie oder im beruflichen Umfeld. Andere Haltungen und Sichtweisen bleiben oft außen vor. Diese Entwicklungen begünstigen gesellschaftliche Spaltung, wie wir sie schon heute bemerken können. Denn wer nur die eigene Sichtweise gespiegelt bekommt, verliert leicht das Verständnis für die Vielfalt demokratischer Positionen. Orte, an denen solche Verständigungen zwischen Menschen möglich wird, sind daher von zentraler Bedeutung für eine lebendige Demokratie (Oldenburg und Christensen 2023, S. 13). Diese Orte sind „Third Places”, das sind öffentliche und meist nicht kommerzielle Räume, neben dem Arbeitsplatz und dem Zuhause, die freiwillig und niederschwellig für jeden zugänglich sind. Um diese Orte geht es im vorliegenden Text.

Am Beispiel Öffentlicher Bibliotheken wird aufgezeigt, wie solche Orte Begegnungen ermöglichen und damit einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Teilhabe leisten können. Denn Demokratie ist mehr als wählen oder demonstrieren – Demokratie ist auch das alltägliche Miteinander, in Gesprächen in denen zugehört und auch widersprochen wird. Genau dort setzen „Third Places” an.

2 Begriff und Verständnis von „Third Places”

Der Begriff „Third Place” – ins Deutsche übersetzt, Dritter Ort – wurde durch den amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg geprägt (Oldenburg 2023, S. 42). Er beschreibt damit Orte, die sich jenseits des privaten Zuhauses (erster Ort) und des beruflichen Umfelds (zweiter Ort) befinden. Typische Beispiele sind Cafés, Bars oder auch Bibliotheken: Orte, an denen Menschen freiwillig und ohne Verpflichtungen verweilen können. Im Zentrum des Konzepts steht die Idee, dass diese Räume soziale Interaktion ermöglichen, ohne kommerziellen oder institutionellen Zwang. Sie bieten Gelegenheit zur Begegnung, zum Austausch und zur persönlichen Entfaltung – unabhängig vom Status, Herkunft, Bildungsgrad oder Job. Oldenburg betont, dass solche Orte nicht nur das individuelle Wohlbefinden stärken, sondern auch demokratische Prozesse fördern können, da sie das Gespräch zwischen unterschiedlichen Gruppen ermöglichen (Project for Public Spaces 2008).

Darüber hinaus erfüllen „Third Places” auch eine wichtige Funktion im Bereich des informellen Lernens. Das Lernen an solchen Orten unterscheidet sich grundlegend von formalen Bildungsprozessen: es erfolgt außerhalb institutionalisierter Strukturen, ist nicht durch Curricula oder Prüfungen geregelt, sondern ergibt sich spontan im sozialen Miteinander (Nuissl 2006, S. 1). Gerade dadurch eröffnet es einen leichten Zugang zu Wissen, Perspektiven und gesellschaftlicher Teilhabe.

3 Relevanz von „Third Places” mit Fokus auf Bibliotheken

Ray Oldenburg hebt in seinem Werk „The Great Good Place” hervor, dass „Third Places” idealerweise nicht kommerziell organisiert sein sollten, um möglichst allen gesellschaftlichen Gruppen unabhängig von finanziellen Ressourcen offen zu stehen (Project for Public Spaces 2008; Oldenburg 2023, S. 222). In der Realität jedoch werden häufig Cafés oder Bars als prototypische „Third Places” genannt, obwohl diese in der Regel mit Konsumzwang verbunden sind und dadurch potenziell Teilhabe ausschließen können.

Öffentliche Bibliotheken hingegen erfüllen die zentralen Kriterien eines „Third Place” in besonderer Weise: Sie sind einfach zugänglich, nicht kommerziell, vielseitig nutzbar und offen für alle Menschen – unabhängig von Alter, Herkunft oder sozialem Status. In Bibliotheken spiegeln sich alle Bevölkerungsgruppen wider: Renter*innen, Schüler*innen, Eltern, Erwerbstätige, Studierende und Erwerbslose finden dort gleichermaßen Raum (Ruigendijk 2018). Eine Öffentliche Bibliothek wird als „[…] gleichermaßen Lernort und sozialer Ort der Kommunikation” (Wendland 2019) beschrieben. Darüber hinaus sind Bibliotheken flexibel nutzbar: Sie bieten Rückzugsmöglichkeiten für konzentriertes Lesen, Computerarbeitsplätze, Gruppenarbeitsplätze für informellen Austausch sowie eine Vielzahl an Veranstaltungen. Gerade Formate wie Makerspaces oder Programme wie „Jugend hackt: Hello World Minden” leben vom Selbermachen und der Möglichkeit zur Partizipation. Damit verdeutlichen sie die Rolle von Bibliotheken als aktive Plattformen für informelles Lernen und soziale Interaktion (Wendland 2019).

Die gesellschaftliche Relevanz solcher Räume wird auch durch empirische Forschung gestützt. Eine Studie aus Südkalifornien untersuchte 2022 den psychologischen Nutzen von „Third Places” und kam zu dem Ergebnis, dass solche neutralen Räumen das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Besucher*innen messbar steigern können – auch dann, wenn sie ursprünglich auf konsumorientierte Orte fokussiert war (Lee 2022, S. 11). Die zugrundeliegenden Merkmale – soziale Offenheit, freiwilliger Aufenthalt, informeller Charakter – lassen sich deswegen problemlos auf klassische „Third Places” wie Bibliotheken übertragen.

4 Demokratie und wie man sie in „Third Places” fördern kann

4.1 „Third Places” als demokratische Räume in der Geschichte

„Third Places” ermöglichen nicht nur informelle Begegnungen, sondern bieten auch einen Raum für Austausch, Diskussion und Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen. Damit leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur demokratischen Teilhabe. Bereits in vergangenen Jahrhunderten waren solche Orte von großer gesellschaftlicher Bedeutung. Im 19. Jahrhundert etwa entwickelten sich in Europa die sogenannten „Coffee Houses” zu öffentlichen Treffpunkten für Diskussionen. Während ursprünglich nur wohlhabende Schichten Zugang zu diesen Lokalen hatten, da Kaffee zu diesen Zeiten erst bekannt wurde, öffneten sie sich zunehmend auch für breitere Bevölkerungsschichten. Im Gegensatz zu Bars boten sie einen Raum ohne Alkoholkonsum, in dem Gespräche schnell über das Alltägliche hinausgingen – politische Themen, gesellschaftliche Missstände und Fragen von Macht und Gerechtigkeit rückten in den Fokus (Oldenburg und Christensen 2023). Ihre demokratisierende Wirkung blieb nicht unbemerkt: in mehreren Ländern wurden Coffee Houses zeitweise verboten, da sie als Orte des subversiven Denkens galten. Dennoch hielten sich viele dieser Orte – ein frühes Beispiel dafür, wie Räume des freien Austauschs, demokratisches Potenzial entfalten können (Oldenburg und Christensen 2023).

4.2 Demokratie als gelebte Verantwortung

Demokratie erschöpft sich nicht in demokratischen Wahlen oder rechtsstaatlichen Institutionen. Sie braucht alltägliche Räume der Auseinandersetzung, des Zuhörens, der respektvollen Konfrontation auch der Streitgespräche. Damit solche demokratischen Unterhaltungen gelingen, braucht es mehr als institutionelle Rahmenbedingungen: es braucht politische Bildung, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch die Fähigkeit stärkt Meinungen zu reflektieren und fundierte Urteile zu fällen. Rethmann (2022, S. 19) bringt dies auf den Punkt: „Wissensvermittlung zusammen mit der Förderung der Urteilskraft sind grundlegende Aufgaben der politischen Bildung, um Bürger*innen dabei zu unterstützen, an einer Demokratie des 21. Jahrhunderts auch tatsächlich teilnehmen zu können.”

Gerade in Deutschland ergibt sich aus der historischen Verantwortung mit dem zweiten Weltkrieg und der NS-Zeit eine besondere Verpflichtung zur Förderung demokratischer Kultur. Demokratische Prozesse können rasch unter Druck geraten deswegen ist eine starke Zivilgesellschaft essenziell, um autoritären Tendenzen entgegenzuwirken (Seib 2023). „Third Places” bieten einen Rahmen, in dem diese zivilgesellschaftliche Stärke konkret gelebt werden kann.

4.3 Demokratische Praxis: Veranstaltungen in „Third Places”

Das demokratische Potenzial von „Third Places” zeigt sich heute unter anderem in Veranstaltungen, die auf Teilhabe, Empathie und Meinungsvielfalt zielen. Zwei Beispiele sind die Formate Human Library und die Veranstaltungsreihe „Bunt statt Braun” der Hamburger Bücherhallen.

Bei Human Library-Events stellen sich Menschen, die im Alltag mit Vorurteilen konfrontiert sind – etwa Migrant*innen, LGBTQIA+*-Personen oder Menschen mit Behinderung – als „lebendige Bücher” zur Verfügung. Interessierte treten mit ihnen in einen persönlichen Dialog und begegnen dabei Lebensrealitäten, mit denen sie sonst kaum in Kontakt kämen (The Human Library 2025; Sandwall 2025). Die direkte Konfrontation mit Erfahrungswissen trägt dazu bei, Vorurteile abzubauen und Empathie zu stärken (Human Library 2025).

Die Reihe „Bunt statt Braun”, initiiert von den Bücherhallen Hamburg im Jahr 2024, geht noch einen Schritt weiter: in Reaktion auf den gesellschaftlichen Rechtsruck organisiert sie Diskussionen, Comedy-Abende und offene Gesprächsformate mit Expert*innen und Aktivist*innen. Ziel ist es, ein deutliches Zeichen gegen Diskriminierung und für demokratische Werte zu setzen (Bücherhallen Hamburg 2024; Bücherhallen Hamburg 2025).

Beide Formate zeigen: Bibliotheken als „Third Places” sind nicht nur Orte der Information, sondern auch des aktiven gesellschaftlichen Engagements – im Kleinen wie im Großen.

5 Abschluss

Zusammenfassend zeigt sich: „Third Places” – insbesondere Öffentliche Bibliotheken – besitzen ein erhebliches Potenzial zur Förderung demokratischer Teilhabe. Sie bieten niederschwellige Zugänge zu Bildung, Austausch und Begegnung und schaffen damit Räume, in denen demokratische Werte nicht nur vermittelt, sondern auch gelebt werden können.

Dieses Potenzial kann jedoch vielerorts noch stärker genutzt werden. Angesichts aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen – etwa dem Einzug einer vom Verfassungsschutz beobachteten, gesichert rechtsextremen Partei in den Bundestag (Zimmermann und Piperidou 2025) – ist es umso dringlicher, Orte des demokratischen Diskurses zu stärken. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Räume für politischen Austausch zu schaffen, zu nutzen und sichtbar zu machen. Bibliothekar*innen und andere Fachkräfte sind gefordert, entsprechende Veranstaltungsformate aktiv zu gestalten und weiterzuentwickeln. Gleichzeitig liegt es an den Besucher*innen, diese Angebote wahrzunehmen – nicht nur punktuell, sondern als Teil einer aktiven demokratischen Kultur.

Denn Demokratie beginnt, im Kleinen: im Zuhören, im Widerspruch, im gemeinsamen Lernen. „Third Places” können hierfür der richtige Ort sein – wenn wir sie bewusst als solche begreifen und gestalten.

Literatur

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