Affektive Transmission. Das textuelle Kind bei Marie de Gournay und bei Montaigne

Autor/innen

  • Amalia Witt Karl-Franzens-Universität Graz

DOI:

https://doi.org/10.15460/apropos.3.1462

Schlagworte:

Gournay, Marie de Jars de, 1565-1645, Montaigne, Michel Eyquem de, 1533-1592, Essais, fiktive Familienbande, Erbe

Abstract

Eine außergewöhnliche, fingierte Verwandtschaftsrelation bestand zwischen der späteren Herausgeberin sowie Schriftstellerin Marie de Gournay (1565-1645) und dem Verfasser der Essais, Michel de Montaigne (1533-1592). 1588 trafen sich die junge Unbekannte und der arrivierte Renaissancedenker zum ersten Mal in Paris und schlossen einen Bund (alliance). Fortan nahmen sie auf einander Bezug als père d’alliance und fille d’alliance. Die lebensweltliche Tragweite dieser früh-neuzeitlichen Allianz zwischen dem „geistigen Ziehvater“ Montaigne und seiner „geistigen Ziehtochter“ Marie de Gournay ist nur schwerlich fassbar, handelte es sich doch weder um eine durch Blutsverwandtschaft legitimierte, noch um eine rechtlich beglaubigte Verwandtschaftsbeziehung. Eine komparative Lektüre der Essais und verschiedener, von Marie de Gournay verfasster Texte lässt allerdings den Schluss zu, dass eine Kontinuitätslinie zwischen fille d’alliance und père d‘alliance auf einer textuellen Ebene festzustellen ist: Das semantische Feld rund um die Metaphorik des textuell erzeugten, geistigen, „vererbten“ und letztlich „verwaisten“ Kindes findet sich sowohl intra- als auch intertextuell zwischen den Essais sowie von Marie de Gournay verfassten Texten aufgespannt. Die Gesamtwerke Montaignes und Marie de Gournays, Les Essais beziehungsweise Les Advis, werden textuell „vererbt“, indem sie metaphorisch als „geistige Kinder“ einem Vormund angetragen werden. Einzelne Passagen der untersuchten Texte und Paratexte fungieren somit als autoreferenzieller und metatextueller Aushandlungsort nicht nur der Konstitution, sondern auch der Überlieferung jener schutzbedürftigen geistigen „(Waisen)Kinder“ (orphelins). Unter Bezug auf affekttheoretische und praxeologische Ansätze wird das „textuelle Kind“ bei Marie de Gournay als affektive Transmissionspraxis beleuchtet.

Autor*innenbiografie

Amalia Witt , Karl-Franzens-Universität Graz

Amalia Witt (geb. 1986 in Rumänien) hat Romanistik, Geschichtswissenschaften und Pädagogik an der Eberhard Karls-Universität Tübingen studiert. Neben dem Studium absolvierte sie zahlreiche Tätigkeiten und Praktika im In- und Ausland, unter anderem als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache im kanadischen Québec sowie als Praktikantin beim deutsch-französischen Fernsehsender ARTE in Strasbourg. Nach dem Studium durchlief sie die Ausbildung zur Gymnasiallehrerin und arbeitete als Lehrerin an einem Gymnasium in Deutschland. Seit August 2017 ist sie am Institut für Romanistik der Karl-Franzens-Universität Graz, Österreich, als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Forschung und Lehre im Bereich der Französischen Literaturwissenschaft tätig. Der Arbeitstitel ihrer Dissertation, mit der sie einen neuen Blick auf Kontinuitätslinien  zwischen dem Renaissancedenker und Essayisten Michel de Montaigne und seiner fille d’alliance Marie de Gournay unternimmt, lautet „Genealogien des Wissens, Marie de Gournay und Montaigne“.

Marie de Jars de Gournay (1565-1645), Michel Eyquem de Montaigne (1533-1592) (http://bibliotheque.bordeaux.fr / Bibliothèque municipale de Bordeaux, gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France

Downloads

Veröffentlicht

2019-12-10

Zitationsvorschlag

[1]
Witt , A. 2019. Affektive Transmission. Das textuelle Kind bei Marie de Gournay und bei Montaigne. apropos [Perspektiven auf die Romania]. 3 (Dez. 2019), 53–75. DOI:https://doi.org/10.15460/apropos.3.1462.

URN