Die Geologie-Bibliothek an der RWTH Aachen
Ein persönlicher Praxisbericht zur Arbeit in einer Spezialbibliothek
DOI:
https://doi.org/10.15460/apimagazin.2025.6.2.259Schlagworte:
Institutionsbibliothek, Spezialbibliothek, One-Person-Library, Lehrstuhlbibliothek, Sichtbarkeit, Organisationelles Lernen, Change Management, Bibliothekarische DienstleistungBegutachtung
Abstract
Der Beitrag behandelt einen persönlichen Praxisbericht an der Geologischen Bibliothek an der RWTH Aachen. Die Autorin begann 2002 ihre Tätigkeit in der Geologischen Bibliothek, öffnete die Bibliothek für die Studierenden, veränderte das Konzept, erhöhte die Sichtbarkeit der Bibliothek u. a. durch einen OPAC. Weitere Schwerpunkte stellten Vernetzung und Austausch, die Kommunikation nach außen sowie die Entwicklung forschungsnaher Dienstleistungen dar.
1 Die Geologische Bibliothek als „One-Person Library” und Spezialbibliothek
Die Geologische Bibliothek an der RWTH ist eine klassische „One-Person Library” (OPL) mit nur einer Fachkraft (Dipl.-Bibl., max. 50 % Stellenumfang). Eine Bibliothek, die seit der Gründung der Geologie in Aachen seit den 1870er Jahren existiert.
Eine Spezialbibliothek zeichnet sich aus durch ihre Fokussierung auf ein Fachgebiet (hier: Geologie), eine Anbindung an eine Institution, für deren Literaturversorgung sie zuständig ist (Geologisches Institut) und einen Bestand, der sich an den Bedarfen der jeweiligen Einrichtung (Geowissenschaftler*innen) orientiert und besonders tief erschlossen wird (Erfassung von Aufsatzliteratur, „Sonderdrucke”, geologische Karten) (Seefeldt 2022).
2 Die Bibliothek im Rückblick
Traditionell hatte in den 1870er Jahren jede Professur eine eigene Bibliothek. Ursprünglich als eine Art Handapparat entstanden, wurden in den Neugründungen von Hochschulen und Universitäten Bibliotheken1 in die neuen Gebäude mit eingeplant. So gab es eben einer Universitätsbibliothek auch in Aachen von Beginn an eine große Zahl von Institutsbibliotheken – die sogenannte „Zweischichtigkeit” – die den Bedarf der in der jeweiligen Lehreinheit benötigten Literatur abdecken sollte. Allein im Bergbaugebäude an der RWTH gab es Anfang der 2000er Jahre noch mindestens sechs Institutsbibliotheken.
Als ich 2002 in der Geologischen Bibliothek an der RWTH als Bibliothekarin anfing, habe ich eine kleine Institutsbibliothek vorgefunden, die tatsächlich noch den Anforderungen von 1870 folgte: einen PI-basierten Zettelkatalog, einen systematischen Zettelkatalog, rund 50 Regalmeter Sonderdrucke, (die über diesen systematischen Katalog zugänglich sein sollten) und reichlich geologische Karten (über 7.000, wie sich herausstellen sollte). Kurz vorher hatte man die alphabetische Aufstellung nach Autoren in eine eigene, selbst entwickelte Systematik überführt.
Mit meiner halben Stelle sowie einer studentischen Hilfskraft ausgestattet, war die Bibliothek nur an vier Tagen wöchentlich jeweils zwei Stunden geöffnet. Studierende waren in den Räumen nicht wirklich erwünscht und einbezogen worden, die Ausleihe von Literatur war nur in Ausnahmefällen möglich. Allerdings hatten die Mitarbeitenden freien Zugang und konnten jederzeit die von ihnen benötigte Literatur ausleihen. Das führte dazu, dass sich die Regale in der Bibliothek häufig mal entleerten und sich in den jeweiligen Büros der Mitarbeitenden die Bücher stapelten.
Die Sonderdrucke, so stellte sich heraus, waren alphabetisch nach Verfassern sortiert und der sehr durchdachte systematische Katalog sollte den Zugriff einfach machen – nur, es gab keine Übersicht über die Systematik, keine Informationen, wie die Verschlüsselung aussah. Also wurde der systematische Katalog bereits in den ersten Wochen von mir überarbeitet; zum Unmut eines Emeritus, der auch heute noch die Bibliothek nutzt und diese Systematik im Kopf hat.
3 Die Bibliothek verändert sich
Als ich in der Geologie-Bibliothek anfing, habe ich zunächst die Öffnungszeiten verlängert und die Stunden auf 40 Stunden mit der Unterstützung von studentischen Hilfskräften aufgestockt. Dabei war es mir wichtig, die Studierende als Kund*innen zu sehen. Dafür wurden neue Arbeitsplätze für Studierende eingerichtet, dazu gehörten zwei PC-Arbeitsplätze und 10 weitere Arbeitsplätze. Führungen wurden nun jeweils zu Semesterbeginn für neue Studierende angeboten. Relativ schnell wurde die Bibliothek als Lernraum entdeckt. Ein ruhiges Umfeld, Literatur, Internetzugang. So waren in den Anfangsjahren die PC-Arbeitsplätze dauerhaft belegt, die Studierenden arbeiteten damals noch mit Disketten. Seit einigen Jahren ist an die Bibliothek auch ein PC-Raum angeschlossen mit 15 Rechnern, die von den Studierenden außerhalb von Lehrveranstaltungen genutzt werden können und auf denen sie die für ihr Studium relevante Software vorfinden.2
Ein nächster großer Schritt in Sachen Transparenz, Sichtbarkeit und Studierendenservice wurde durch die Erfassung des Bestandes in einen elektronischen Katalog erreicht: die RWTH führte das Bibliothekssystem Allegro ein und die Bestände der beteiligten Bibliotheken wurden auf den Web-Seiten der Universitätsbibliothek sichtbar gemacht. So kamen auch eine neue Klientel Studierender aus anderen Fachbereichen der Universität. Der alte Allegro-Katalog wurde in mehreren Etappen über die Systeme SisisSunRise und Aleph mittlerweile in ALMA migriert und ist weltweit sichtbar.
Mir hat dabei die Vernetzung mit anderen OPLs an der RWTH geholfen, zu dieser Zeit hatten alle dieselben Fragestellungen. Darüber hinaus war auch die Vernetzung mit anderen Geo-Bibliotheken wichtig. Hier gibt es seit über 30 Jahren ein hervorragendes Netzwerk: GEOUM, Geo- und Umweltbibliotheken (GFZ Bibliothek o.D.). Dieser Arbeitskreis tauscht sich über eine Mailingliste aus und man trifft sich jährlich im Rahmen der BiblioCon. Fragen werden gemeinsam erörtert, wie: Wie erschließe ich Kartenmaterial? Ist die Aufsatzliteratur wichtig? Kann mich jemand bei der Literatursuche unterstützen (zu Zeiten der Zettelkataloge noch sehr wichtig)?
Durch meine Mitgliedschaft in einer amerikanischen Geo-Bibliotheksliste brachte den Vorteil, an Online-Veranstaltungen, Fortbildungen teilzunehmen. Als ich mehrfach mit sehr alter deutsche Zeitschriftenliteratur bei der Recherche helfen konnte oder noch eine indonesische geologische Karte im Bestand hatte, die bei der Recherche weiterhalf, war ich sichtlich erfreut. Durch diesen Austausch wurde unsere Bibliothek zudem international sichtbar.
4 Die Bedeutung der internen Kommunikation
Um meine neue Vorgehensweise im Institut bekannt zu machen, kommunizierte ich regelmäßig „Meilensteine” wie Einführungsveranstaltungen für Studierende oder Fortbildungsergebnisse. Hinzu kam der Austausch mit den Wissenschaftler*innen über ihre Forschungsthemen, um besser nachvollziehen zu können, woran geforscht wird. Mailinglisten von Doktorand*innen halfen mir, Themen der Doktorand*innen zu identifizieren und ihnen proaktiv Unterstützung anzubieten; auch das war einer der Meilensteine.
Mit der Digitalisierung steht viel mehr Literatur bereit, die für Wissenschaftler*innen und Studierende greifbar ist. Gedruckte Literatur hat nicht mehr denselben Stellenwert wie noch vor 25 Jahren. Diese Umstände verändern ebenfalls die Arbeit von Bibliothekaren: es reicht nicht mehr, für die Studierenden Lehrbücher in gedruckter Form zur Verfügung zu stellen und diese Lehrbücher zu katalogisieren. Was vor 25 Jahren noch einen Großteil der Arbeitszeit in Anspruch genommen hat, fällt nun mehr oder weniger weg.
Dafür rücken andere Tätigkeiten in den Vordergrund: der gesamte
Aspekt der „forschungsnahen Dienstleistungen” wird zunehmend relevanter;
als „embedded librarian”3 kann ich mich – idealerweise –
entlang des Forschungszyklusses (Röhr 2024, S. 28) einbringen, von den
ersten thematischen Literaturrecherchen über das Wissen rund um die
Publikationsmöglichkeiten, bis hin zur Beratung. Es tauchen Fragen auf:
Wie publiziere ich? Was sind die Rahmenbedingungen (an meiner
Einrichtung)? Wo publiziere ich bzw. was sind geeignete Zeitschriften,
in denen ich publizieren kann? Wie identifiziere ich „Predatory
Journals”4? Wie mache ich meine Publikation
verfügbar und sichtbar (CC-Lizenzen)? Wie gehe ich mit Forschungsdaten
um? Was sind geeignete Repositorien? Gibt es fachspezifische
Repositorien oder allgemeine, die von der Universität (oder der
Forschungseinrichtung) angeboten werden?
Um diese Fragen zu beantworten, biete ich meinen Kund*innen Schulungen
an zu Themen wie Bibliotheksverwaltungsprogramme, Literaturrecherche
oder Lizenzrecht.
5 Change Management, Vernetzung und Sichtbarkeit
Die Idee des lebenslangen Lernens hat auch die kleinen OPL erreicht. Es gilt frühzeitig zu erkennen, welche Trends sich im bibliotheksrelevanten wie auch fachspezifischen Kontext entwickeln und was in den nächsten Jahren wichtig sein wird. Dazu gehört u. a. die Auseinandersetzung mit dem Chatbot ChatGPT. Es gilt, die Studierenden aufzuklären, ob eine Literaturrecherche über ChatGPT überhaupt sinnvoll ist.
Immens wichtig ist, dazu die Vernetzung und die Erkenntnis, dass man nicht alles selbst erfinden muss und dass andere vielleicht schon Lösungen gefunden haben und wie sie nach innen oder nach außen diese neuen Entwicklungen kommunizieren. Dazu gehört ebenfalls die Erkenntnis, dass sich das Team von der UB um das Forschungsdatenmanagement kümmert und unterstützt, wenn Fragen aufkommen. Als Spezialbibliothek sind wir eher spitz aufgestellt und nicht immer so tief in der Materie wie eine Spezialistin oder ein Spezialist von der UB.
Kolleg*innen aus dem GEOUM-Arbeitskreis haben ihre OPACs mittlerweile frei verfügbar und somit werden auch ihre besonderen Bestände nach außen sichtbar und nutzbar. Exemplarisch seien hier die großen Bibliotheken (oder vielleicht treffender: Informationszentren) des GFZ in Potsdam (Geoforschungszentrum Potsdam5) der BGR (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover6) oder die Geologische Bundesanstalt7 in Wien genannt.
Für die Sichtbarkeit nach außen sind allerdings noch weitere Dinge von Nöten, als der Nachweis der Bestände im UB-Katalog. Dachte man vor 10 Jahren mit einer Facebookseite würde man Kund*innen ansprechen, hat sich das inzwischen stark verändert: Facebook nutzen die jungen Menschen heutzutage nicht mehr. Und ein Instagram-Account darf nicht vor sich hindümpeln: Social Media geht eben nicht mal „so nebenbei”. Instagram ist für unsere studentische Klientel das richtige Medium und der Account liegt inzwischen in den Händen von studentischen Hilfskräften, die regelmäßig Studierende über Neuerungen informieren.
6 Fazit
Werbung und Sichtbarmachung nach innen und nach außen ist gerade für kleine Bibliotheken besonders wichtig. Auch hier greift die Methode des lebenslangen Lernens als ein Lernfeld. Bestände nachzuweisen ist nicht alles, die Bibliotheken müssen heute mehr können, mehr anbieten und mehr von ihren Fähigkeiten vermitteln.
Literatur
GFZ BIBLIOTHEK, [kein Datum]. GeoUM – Geophysikalische Untersuchungsmethoden [online]. Potsdam: GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung [Zugriff am: 17.06.2025]. Verfügbar unter: https://bib.telegrafenberg.de/ueber-uns/projekte-zusammenarbeit/geoum{#gfz-bibliothek-kein-datum.-geoum-geophysikalische-untersuchungsmethoden-online.-potsdam-gfz-helmholtz-zentrum-für-geoforschung-zugriff-am-17.06.2025.-verfügbar-unter-httpsbib.telegrafenberg.deueber-unsprojekte-zusammenarbeitgeoum .Überschrift-1-extra}
JACOBS, Anne, 2013. Embedded Library [online]. Hrsg. Berufsverband Information Bibliothek / Kommission für One-Person Librarians. Berlin: Berufsverband Information Bibliothek (BIB). Checklisten 38. [Zugriff am: 22.05.2025]. Verfügbar unter: http://www.bib-info.de/kommissionen/kopl/publikationen/checklisten.html {#jacobs-anne-2013.-embedded-library-online.-hrsg.-berufsverband-information-bibliothek-kommission-für-one-person-librarians.-berlin-berufsverband-information-bibliothek-bib.-checklisten-38.-zugriff-am-22.05.2025.-verfügbar-unter-httpwww.bib-info.dekommissionenkoplpublikationenchecklisten.html .Überschrift-1-extra}
RÖHR, Elke, 2024. Von Buch-Koryphäe zum Datenjockey? Eine Untersuchung zum Wandel des Berufsbildes von Mitarbeitenden in Spezialbibliotheken [Masterarbeit] [online]. Köln: Technische Hochschule Köln. [Zugriff am: 22.05.2025]. Verfügbar unter: https://publica-rest.fraunhofer.de/server/api/core/bitstreams/7fbcb12d-9bb5-4fac-ab9a-8a579adc09a3/content
SEEFELDT, Jürgen, 2022. Spezialbibliotheken [online]. Berlin: Deutscher Bibliotheksverband (dbv), 31.08.2022 [Zugriff am: 17.06.2025]. Verfügbar unter: https://bibliotheksportal.de/informationen/bibliothekslandschaft/spezialbibliotheken/
Die Preußischen Instruktionen, kurz PI, waren das in Deutschland seit 1899 maßgebliche Regelwerk für die Katalogisierung, das in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zunächst durch die RAK (Regeln für alphabetische Katalogisierung) und seit 2015 durch die RDA (Resource Description and Access) abgelöst wurden.↩︎
Ein visueller Eindruck der Räumlichkeiten der Bibliothek findet sich in: https://www.bib-info.de/fileadmin/public/Dokumente_und_Bilder/Komm_OPL/Meine_Bibliothek/LutterCorneliaMeineOPL.pdf [Zugriff am: 17.06.2025].↩︎
Bei dem Konzept „Embedded Librarian” integriert sich die/der Bibliothekar*in bewusst in seine Kundengruppe, um dort sein fachliches Know-How einzubringen (Jacobs 2013).↩︎
Unter „Predatory Journals” werden Raubzeitschriften mit einem fragwürdigen oder betrügerischen Geschäftsmodell verstanden, die keine anerkannten wissenschaftliche Journale darstellen. Weitere Infos unter: https://thinkchecksubmit.org/resources/about-predatory-publishing/ [Zugriff am: 17.06.2025].↩︎
Siehe unter: https://bib.telegrafenberg.de/ [Zugriff am: 17.06.2025].↩︎
Siehe unter: https://www.bgr.bund.de/DE/Gemeinsames/Bibliothek/bibliothek-archiv_node.html [Zugriff am: 17.06.2025].↩︎
Siehe unter: https://www.geosphere.at/de/daten/services/bibliothek [Zugriff am: 17.06.2025].↩︎
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