Porträt eines Bildungswegs

Bennata Otten als zweite deutsche Bibliotheksleiterin im frühen 20. Jahrhundert

  • Kim-Lara Bartels Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Deutschland
    Studierende im 4. Semester des Bachelorstudiengangs Bibliotheks- und Informationsmanagement

DOI:

https://doi.org/10.15460/apimagazin.2025.6.2.254

Schlagworte:

Bibliotheksgeschichte, Portrait, Bildung

Begutachtung

  • Dr. Katharina Jeorgakopulos HAW Hamburg

Abstract

In diesem Porträt wird der Bildungsweg und Werdegang von Bennata Otten beschrieben. Dabei werden ihre Kindheit und Schulzeit an einer höheren Mädchenschule, die Teilnahme an einem der ersten bibliothekarischen Lehrgänge für Frauen, ihre private Weiterbildung und die Arbeit als Leiterin der Lübecker Öffentlichen Bücherhalle (1906-1923) beleuchtet.

1 Einleitung

„Die Leitung des Büchereiwesens im Ganzen und der grossen Büchereien im Einzelnen gehört nicht in die Hände der Frau.” (Hoffmann 1933, S. 105)

Im September 1906 tritt die 24-jährige Bennata Otten die Leitung der Lübecker Öffentlichen Bücher- und Lesehalle an. Dies macht sie zur zweiten deutschen Bibliothekarin in leitender Funktion (Mielke 2000, S. 210). Ihr Weg in diese Position ist konkurrenzlos, ihre Kollegen erkennen ihre fachliche Kompetenz an und sie wird bei wichtigen bibliothekarischen Fragen konsultiert (Jank 1992, S. 166f.).

Heute ist ihr Porträt das einzige einer Frau in den Sälen der Stadtbibliothek Lübeck. Wie ist ihr ein scheinbar müheloser Aufstieg in einer Zeit gelungen, in der nur ein Drittel aller Frauen überhaupt erwerbstätig waren (Statistisches Bundesamt 1985) und noch wenigeren eine höhere Ausbildung möglich war (Rahlf 2015)? Was hat den Bildungsweg der Porträtierten so einzigartig gemacht, die mit gelassenem Selbstbewusstsein neben ihren männlichen Kollegen die Regalreihen überblickt?

2 Kindheit und Schulzeit

Bennata Otten wird am 21. Dezember 1882 in eine wohlhabende Lübecker Kaufmannsfamilie geboren. Es ist ein Glücksfall für das Mädchen, das schon in jungen Jahren Kreativität und Intelligenz beweist. Denn so stehen ihr vergleichsweise hohe Bildungsmöglichkeiten offen (Mielke 2000, S. 39).

„Als die fünfjährige Bennata mit ihrer Mutter durch eine verschneite Straße ging, empfand Bennata es als umständlich, wie in der Straße Schnee gefegt wurde, und hatte sogleich eine Idee, wie man es viel besser machen könne.“ (Mielke 2000, S. 40)

In ihrer Jugend besucht sie die auf private Initiative hin gegründete Hinckeldeynsche höhere Mädchenschule (Mielke 2000, S. 40). In Lübeck gilt die Schule als eine der besten und teuersten ihrer Art. Trotz schulischer Bildung ist es zu dieser Zeit nicht üblich für Mädchen, eine Karriere anzustreben (Mielke 2000, S. 42). Doch Ida Hinckeldeyn – Gründerin und Leiterin der Schule – ist der Meinung, dass Frauenbildung notwendig ist. Sie vermittelt ihren Schülerinnen Selbstständigkeit und Arbeitsfreude. Die Mädchen nennen sie „Tante Ida“ (Hansestadt Lübeck o.D.-a, S. 10). Und dennoch: Mit einem Abitur darf Bennata die Schule nicht abschließen (Mielke 2000, S. 40). Die höheren Mädchenschulen sind den Jungengymnasien nicht ebenbürtig und vermitteln nicht die Allgemeinbildung, welche angehenden Bibliothekaren vorausgesetzt wird.

„Vorbedingung ist eine gute Allgemeinbildung – für uns, denen nur die höhere Töchterschule offen gestanden hat, durch eigenes Arbeiten nach der Schulzeit zu erstreben – für diejenigen, die ihre Lehrjahre noch vor sich haben, möglichst Gymnasialbildung, um auf derselben Grundlage wie die Männer weiterarbeiten zu können.” (Peiser 1901, S. 54)

3 Die Bibliothekarinnenschule

Bennata lässt sich von diesem Umstand nicht abschrecken. Sie interessiert sich für Literatur, und ihr Weg führt sie schließlich nach Berlin. Dort nimmt sie 1905 am bibliothekarischen Lehrgang von Prof. Christlieb Hottinger teil (Mielke 2000, S. 42f.).

Der pensionierte wissenschaftliche Bibliothekar gründete im Jahr 1900 eine Schule, um junge Frauen für die Arbeit in öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken auszubilden. Sein Institut ist eine der ersten Bibliothekarinnenschulen (Schwarz 1969, S. 427f.).

„Die […] Schulen wurden zum Mittelpunkt bibliothekarischer Frauenbildung“ (Schwarz 1969, S. 428). Es ist keine ideale Lösung, denn der Lehrgang wird schon damals in Fachkreisen für seine Praxisferne und den fehlenden Fokus auf bibliothekarische Fächer kritisiert. Außerdem operiert er weitgehend unabhängig von staatlichen Einflüssen wie einem Prüfungsausschuss (Schwarz 1969, S. 428). Aber für Bennata ist diese Ausbildung die Eintrittskarte in die Welt der bibliothekarischen Arbeit.

Mit 20 Wochenstunden studiert sie Fächer wie Bibliothekskunde, Sprachen, Literaturgeschichte und Buchbinderei. Der Lehrgang dauert zumeist nur ein Jahr und wird mit einer vierstündigen Klausur abgeschlossen (Mielke 2000, S. 43).

4 Weiterer Werdegang

Aber sie gibt sich mit den dort erworbenen Kenntnissen nicht zufrieden. Bennata bildet sich weiter, unter anderem mit englischsprachigen Fachzeitschriften wie dem „Library Journal”. Die angloamerikanische Bibliothekslandschaft ist der deutschen voraus (Mielke 2000, S. 209 f.) und Bennata ist somit besser informiert als viele ihrer männlichen Kollegen mit längerer Ausbildung. Außerdem baut sie ihr Wissen mit Praktika in verschiedenen Bibliotheken aus (Mielke 2000, S. 45).

Im Jahr 1905 wird ihr schließlich vom nebenamtlichen Bibliotheksleiter Dr. Link angeboten, die Leitungsstelle der Lübecker Öffentlichen Bücherhallen anzutreten (Hansestadt Lübeck o.D.-b, S. 16). In dieser Leitungs-Position leistet sie viel: Sie überarbeitet den Bestand, die Katalogisierung und die Organisation der Bibliothek insgesamt (Hansestadt Lübeck o.D.-b, S. 16).

Außerdem ist Bennata eine frühe Befürworterin der Freihandaufstellung. In Freihandbibliotheken erhalten die Nutzenden freien Zugang zu dem Medienbestand. Dies wird erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gängige Praxis in Deutschland (Brockhaus Enzyklopädie Online o.D.).

„So kommt sie zu dem Schluss: ‚Die Erziehung des Lesers zum Umgang, zum richtigen Gebrauch der Bücher wird durch die Freihand unbedingt gefördert.‘“ (Otten 1915, S. 70 zit. n. Mielke 2000, S. 151)

Zudem unterstützt sie Mädchen dabei, die Bücherhalle genauso zu nutzen wie die Jungen, indem sie Stunden einrichtet, in denen die Mädchen allein die Kinderlesehalle nutzen können (Hansestadt Lübeck o.D.-b, S. 16).

17 Jahre lang leitet Bennata Otten die Lübecker Bücherhalle. Es ist Willy Pieth – Leiter der Lübecker Stadtbibliothek seit 1919 – der die Neuorganisation des Lübecker Bibliothekssystems vorschlägt. Die Bücher- und Lesehalle soll verstaatlicht werden. Er als Leiter der Stadtbibliothek soll mehr Einfluss sie bekommen. Bennata wehrt sich gegen diesen Vorschlag. Doch ihr Protest bleibt erfolglos (Jank 1992, S. 157f.).

„Letztlich entschied jedoch die Zugehörigkeit Ottens zur deutsch-nationalen Partei über ihr Schicksal, Pieth war Sozialdemokrat“ schreibt Dagmar Jank über Bennata (Jank 1992, S. 158).

Bennata Otten arbeitet danach nicht mehr als Bibliothekarin. Sie macht sich mit einer Firma für Büromöbel selbstständig und als die Nationalsozialisten ihr schließlich ihre ehemalige Position unter der Voraussetzung anbieten, dass sie der NSDAP beitrete, lehnt sie ab (Jank 1992, S. 158).

Sie stirbt mit 72 Jahren am 18. April 1955 in Lübeck (Jank 1992, S. 158). Heute ist nicht mehr viel über das Leben Bennata Ottens bekannt. An sie erinnern ein paar Fotografien und wissenschaftliche Arbeiten. Es ist aber vor allem ihr Portrait in der heutigen Stadtbibliothek, welches dafür sorgt, dass sie und ihr außergewöhnlicher Bildungsweg nicht in Vergessenheit geraten.

Literatur

BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE ONLINE, o.D. Freihandbibliothek [online]. München: NE GmbH Brockhaus [Zugriff am 18.05.2025]. Verfügbar unter: https://brockhaus.de/ecs/enzy/article/freihandbibliothek

HANSESTADT LÜBECK, o.D.-a. Ida Hinckeldeyn [online]. Gründerin der heutigen Thomas-Mann-Schule. [Zugriff am 20.04.2025]. Verfügbar unter: https://bekanntmachungen.luebeck.de/dokumente/d/1046/inline

HANSESTADT LÜBECK, o.D.-b. Die Geschichte der Bibliothek der Hansestadt Lübeck [online]. [Zugriff am 09.05.2025]. Verfügbar unter: https://www.luebeck.de/files/stadtleben/kultur/stadtbibliothek/Die%20Geschichte%20der%20Bibliothek%20der%20Hansestadt%20L%C3%BCbeck.pdf

HOFFMANN, Walter, 1933. Ein Wort zur Frauenarbeit in der Volksbücherei. In: LÜDTKE, Helga, Hrsg. Leidenschaft und Bildung: Zur Geschichte der Frauenarbeit in Bibliotheken. 1. Auflage. Berlin: Orlanda Frauenverlag, S. 103. ISBN 3-922166-79-2

JANK, Dagmar, 1992. Die ersten Bibliothekarinnen in leitenden Positionen: Biographische Anmerkungen zu Bennata Otten und Marie Nörenberg. In: LÜDTKE, Helga, Hrsg. Leidenschaft und Bildung: Zur Geschichte der Frauenarbeit in Bibliotheken. 1. Auflage. Berlin: Orlanda Frauenverlag, S. 151–171. ISBN 3-922166-79-2

MIELKE, Andrea, 2000. Bennata Otten: Leiterin der Bücherhalle Lübeck 1906-1923: Eine der ersten Direktorinnen einer Öffentlichen Bibliothek in Deutschland. 1. Auflage. Lübeck: Bibliothek der Hansestadt Lübeck mit Unterstützung des Vereins der Freunde der Stadtbibliothek Lübeck. ISBN 3-933652-08-1

PEISER, Bona, 1901. Die Bibliothekarin. In: LÜDTKE, Helga, Hrsg. Leidenschaft und Bildung: Zur Geschichte der Frauenarbeit in Bibliotheken. 1. Auflage. Berlin: Orlanda Frauenverlag, S. 53–57. ISBN 3-922166-79-2

RAHLF, Thomas, 2015. Anteil weiblicher Studierender in Deutschland¹ in den Jahren 1911 bis 2000 [online]. Hamburg: Statista. [Zugriff am 18.05.2025]. Verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1148156/umfrage/weibliche-studierende-in-deutschland/

SCHWARZ, Christa, 1969. Die Anfänge des bibliothekarischen Frauenberufs im wissenschaftlichen Bibliothekswesen Deutschlands 1899-1911. In: DUBE, Werner, Hrsg. Buch, Bibliothek, Leser: Festschrift für Horst Kunze zum 60. Geburtstag [online]. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 421–434. ISBN 9783112732311. DOI: 10.1515/9783112732311

STATISTISCHES BUNDESAMT, 1985. Anteil der Erwerbstätigen an der deutschen Bevölkerung nach Geschlecht in den Jahren 1882 bis 1939 [online]. Hamburg: Statista. [Zugriff am 09.05.2025]. Verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1139566/umfrage/erwerbsquote-nach-geschlecht/

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