CfA: Künste des Dazwischen: Graphische Literatur und visuelle Poesie der Romania als Genres 'en marge'

2021-12-20

Frist: 2022-01-21

Dossier apropos 2023 (peer-reviewed)

Hg. Julia Dettke, Jasmin Wrobel

Graphische Literatur und visuelle Poesie können in doppelter Hinsicht als Künste des Dazwischen verstanden werden: Zum einen kombinieren sie Bild und Text als ästhetische und semantische Ausdrucksmöglichkeiten, zum anderen reflektieren sie diese Zwischenstellung in intermedialen Verweisen und einer Affinität zu Themen zwischenräumlicher, marginal(isiert)er Erfahrung. Im mehrdimensionalen Verhältnis von Schriftzeichen und Abbildung, von semantischer Festlegung und Öffnung, in der Überschreitung von Grenzziehungen und der Verortung zwischen unterschiedlichen semiotischen Systemen liegt ihre gattungsbildende Spezifik.

Warum aber wurden graphische Narrative wie Bilderzählungen, Comics oder Graphic Novels sowie visuelle, konkrete oder experimentelle Poesie bislang kaum gemeinsam untersucht? Es ist das Merkmal und Potenzial des Dazwischen, das im Zentrum des geplanten Dossiers zur französisch-, spanisch, portugiesisch- und italienischsprachigen graphischen Literatur steht und den Fokus im gemeinsamen Blick auf diese Genres en marge bildet. Ziel ist es, Beiträge zu versammeln, die einen speziellen Fokus auf intermediale und autoreflexive Verhandlungen von Text-Bild-Beziehungen in graphischer Literatur und/oder visueller Poesie richten. Die „verbivocovisuelle“ (Campos/Pignatari/Campos 1965 via Joyce 1939) Dimension konkreter Dichtung, Gekritzel und Arabeske als Konstituenten des Comics (Weltzien 2012) sowie das Spiel mit den Grenzen und dem Schriftbild der Sprechblasen (z.B. Buzzati 1969) erlauben die inhaltliche wie intermedial autoreflexive Verhandlung von Zwischenzonen und Grenzbereichen möglichen Ausdrucks. Im Sinne einer „engaged visuality“ (Minuto/De Vree 2021), einer „poesia indisciplinada“ (Lino/De Oliveira 2021) oder eben ‚undisziplinierten Bildern‘, die sich auch im Comic „auf hierarchischen Strukturen basierenden Klassifizierungen widersetz[en]“ (Sina 2016), interessieren insbesondere „Spielräume und Raumspiele“ (Dettke/Heyne 2016), die intermediale Ästhetiken mit Fragen und Konflikten des Dazwischen auf der inhaltlichen Ebene kombinieren.

Die theoretischen und methodologischen Ansätze zur Analyse visueller / konkreter / experimenteller Poesie und literarischer Werke im weiteren Sinne, die auf materieller Ebene mit Text-Bild-Beziehungen arbeiten oder deren discours Schrift und Bild kombiniert (Callsen 2014) sowie graphischer Narrative in ihrer gesamten Vielfalt (Karikaturen, Strips, Zines, Graphic Novels, Webcomics) sollen daher im geplanten Dossier zusammengedacht und für übergreifende Überlegungen zu Text-Bild-Relationen und Zwischenräumen fruchtbar gemacht werden.

Mögliche, jedoch nicht ausschließliche Fragen und Themen sind:
• Gemeinsame Traditionslinien zwischen visueller Poesie und Bildnarrativen in der französisch-, spanisch-, italienisch- und portugiesischsprachigen Literaturgeschichte
• Das Verhältnis zwischen Poesie und graphischer Literatur sowie graphische Literatur im Verhältnis zu den Gattungen der Epik und Lyrik; hieran anschließend auch die Frage, welche Spannungsverhältnisse sich bei intermedialen Transpositionen (insb. Adaptationen) zwischen dem jeweiligen Autor:innenstil und dem Zeichenstil der Künstler:innen ergeben
• Intermediale Bezüge auf weitere (audio)visuelle Künste in graphischer Literatur und visueller Poesie, insb. Film, Musik und Architektur
• Auditive Wahrnehmung, synästhetische Erfahrungen, Schriftfarben und onomatopoetische Spielweisen in Literatur, Poesie und graphischen Narrativen in ihren kommunikativen, ästhetischen, affektiven und/oder strukturellen Funktionen
• Auf welche Weise werden Poetiken der Bewegung (Fließen, Gehen, Springen, Stolpern, usw.) nachvollzogen, die evtl. auch auf der semantischen Ebene eine Rolle spielen?
• In welchem Verhältnis stehen Lettering, Handschriftlichkeit/von Hand Gezeichnetes, Maschinendruck und digitales Schreiben/Zeichnen zur Körperlichkeit der Figuren oder Erzählinstanzen?
• Inwieweit eignen sich gerade hybride Kunst- und Erzählformen, um nicht nur Gattungsgrenzen, sondern gesellschaftlich verankerte binäre Oppositionen herauszufordern? Welche Inszenierungen z.B. von Geschlecht finden in graphischen Narrativen und visueller Poesie statt und wie werden Text-Bild-Verhältnisse genutzt, um von marginalen Positionen und Bewegungen in Zwischenräumen zu erzählen?
• Auf welche Weise werden strukturelle Agenten – die unterliegende, weiße Seite, Schriftbild, Gutter oder Sprechblasen – zur Ein-, Be- oder Ausgrenzung poetischer/politischer Sprechweisen und Positionen oder aber für die Überschreitung ebendieser Grenzen funktionalisiert?
• Inwiefern wird für die Thematisierung von ‚Grenzerfahrungen‘ oder Traumata die Überwindung der Unzulänglichkeit von Sprache durch Bilder entscheidend?
• Und schließlich: wie ließe sich eine Rezeptionshaltung und -bewegung des Dazwischen für graphisch-visuelle Literaturformen denken und definieren?

Abstracts (350 Wörter max.) in deutscher, französischer, italienischer, portugiesischer oder spanischer Sprache werden erbeten bis zum 21. Januar 2022 an julia.dettke@uni-rostock.de und jasmin.wrobel@fu-berlin.de. Die fertigen Beiträge werden bis zum 1. August 2022 erwartet; die Publikation des Dossiers (im peer-review Verfahren) ist für den Sommer 2023 geplant.

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