Ein Blick in die Historie: Die Bibliothek von Alexandria

Der ungeklärte Untergang einer Weltbibliothek

  • Lea Prasse Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Deutschland
    Studierende im 5. Semester des Bachelorstudiengangs Bibliotheks- und Informationsmanagement

DOI:

https://doi.org/10.15460/apimagazin.2025.6.1.229

Schlagworte:

Alexandria, Geschichte, Antike, Bibliothek

Begutachtung

  • Prof. Dr. Ulrike Verch HAW Hamburg

Abstract

Die im 3. Jahrhundert v. Chr. gegründete Bibliothek von Alexandria war die bedeutendste Universalbibliothek der Antike. Ihr Untergang ist bis heute ungeklärt. Es existieren jedoch mehrere Theorien darüber, wann und auf welche Weise die Bibliothek zerstört wurde, die im Beitrag vorgestellt werden. Die 2002 neu eröffnete „Bibliotheca Alexandrina“ knüpft an die Tradition der antiken Bibliothek an und dient als kulturelles Zentrum mit einer großen Sammlung an Büchern und digitalen Medien.

1 Die große Bibliothek im antiken Alexandria

„Es gibt überhaupt kaum gesichertes Wissen über sie, außer dass sie sehr bedeutsam war für die gesamte Entwicklung des Bibliothekswesens, bis heute” (Kusch 2012).

Die antike „Bibliotheca Alexandrina” war die größte Bibliothek der damaligen Zeit. Gelegen war sie nahe der Mündung des Nils im Palastviertel von Alexandria, der damaligen Hauptstadt des Ptolemäerreiches (Blendinger 2007). Die Bibliothek war ein Teil der dazugehörigen Forschungsstätte des Museion. Der damalige König Ptolemaios I. hatte sie im 3. Jahrhundert v. Chr. gegründet und nach dem Vorbild der Philosophenschulen in Athen einrichten lassen (Blendinger 2007; Klein 2018). Neben ihrer Funktion als Hochschule war das Museion ebenfalls „Beobachtungsstation, Denkfabrik und Experimentierlabor” (Egidy 2002, S. 100). Geforscht wurde auf einem breiten Spektrum von Wissensgebieten: von Mathematik, Biologie, Physik, Astronomie, Medizin und Philologie (Kusch 2012) über Kalenderberechnung, Schiffsorientierung und Kriegstechnik (Egidy 2002, S. 99). Für diese Forschung sollten den Mitgliedern des Museion das gesammelte Wissen der damaligen Zeit zur Verfügung stehen. Denn tatsächlich war es nur ihnen sowie der Königsfamilie erlaubt, die in der Bibliothek aufbewahrten Schriftrollen zu nutzen (Rebenich 2010, S. 177).

Zuständig für die Vervollständigung der Schriften waren Gelehrte, die vom König ernannt wurden (Blendinger 2007). Sie mussten keine Steuern bezahlen und lebten kostenlos in einem Musentempel unter der Leitung von Priestern (Egidy 2002, S. 99). Ihre Aufgabe war es, „die zahlreichen überlieferten Texte [zu] prüfen, aus[zu]sortieren und der jeweiligen Epoche [zu]zuordnen” (Blendinger 2007). Über Frauen, die bibliothekarische Tätigkeiten ausführten, ist nur wenig überliefert. Dennoch wurde auch ihnen manchmal Zugang zur Bibliothek gewährt. Ein bekanntes Beispiel bildet die Wissenschaftlerin Hypatia, die Mathematik, Astronomie und Philosophie am Museion lehrte (Papasimos 2014).

Als Bibliotheksleitung wurde meistens ein angesehener Wissenschaftler oder Dichter eingesetzt. Dieser stand den Gelehrten als Priester vor und übernahm in der Regel zusätzlich die Erziehung der königlichen Prinzen (Rebenich 2010, S. 178). Der erste in dieser Position war Demetrios von Phaleron. Er war ein Freund und Schüler von Aristoteles und hatte die Bibliothek mitgegründet, machte sich jedoch irgendwann durch politische Schriften verdächtigt und wurde verbannt (Blendinger 2007). Eine weitere wichtige Persönlichkeit unter den alexandrinischen Bibliothekaren war Kallimachos von Kyrene. Er soll der erste in der Bibliotheksgeschichte gewesen sein, der eine Art Katalogsystem erfand, um die Massen von Schriftrollen, nach Themen oder Autor*innen sortiert, zu erschließen (Kusch 2012).

Bei der Beschaffung des Schriftguts wurde sehr rigide umgegangen. Um die Texte von berühmten Schriftstellern und Philosophen wie Aishylos, Sophokles und Euripides zu erhalten, wurden ihre Schriften gegen das hohe Pfand von 15 Silbertalenten offiziell ausgeliehen, die Originalschriften dann jedoch nie zurückgegeben (Blendinger 2007; Kusch 2012). Sie erhielten nur die Kopien, durften aber zumindest das Pfand behalten (Blendinger 2007). Ähnliches geschah mit in Alexandria anlegenden Schiffen. Sie wurden nach Schriftrollen durchsucht, diese dann konfisziert und abgeschrieben. Die Originale behielt die Bibliothek, während den Eigentümer*innen nur die Kopien ausgehändigt wurden (Musa 2010).

Die Sprache der Werke des Bibliotheksbestands war vor allem Griechisch. Da die Bibliothek jedoch einen universellen Sammelauftrag hatte, beschränkte man sich nicht nur auf ursprünglich auf Griechisch verfasste Literatur. Auch Texte aus anderen Kulturkreisen und Sprachen wurden gesammelt und dann ins Griechische übersetzt (Egidy 2002, S. 100). Doch selbst, wenn die Schriftrollen nicht zum ersten Mal abgeschrieben oder übersetzt wurden, so mussten die Texte vermutlich immer wieder mühsam per Hand kopiert werden, da Papyrus nicht das langlebigste Material ist (Klein 2018).

Über den Umfang des Bestands gibt es unterschiedliche Angaben. So waren laut dem mittelalterlichen Gelehrten Johannes Tzetzes ca. 490 000 Rollen vorhanden (Blendinger 2007). Laut anderen Angaben soll die Bibliothek zu ihren Hochzeiten bis zu 700 000 Rollen umfasst haben (Kusch 2012; Musa 2010). Dabei muss jedoch beachtet werden, dass ein Buch, wie wir es heute kennen, damals aus mehreren Rollen bestand.

2 Der Untergang einer Weltbibliothek

Wie es zu dem Ende der großen Bibliothek in Alexandria kam, wissen vermutlich nur die Menschen, die zu jener Zeit gelebt haben. Bis heute sind die genauen Umstände des Untergangs nicht geklärt. Jedoch existieren Theorien und Versionen, die besonders häufig genannt werden.

Version 1: Versehentlicher Brand in Caesars Auftrag

Eine weitverbreitete Auffassung war für lange Zeit, dass die Bibliothek während des Alexandrinisches Kriegs aus Versehen abgebrannt sei (Klein 2018). Zustande kam dieser Krieg durch die rivalisierenden Geschwister Kleopatra VII. und Ptolemaios VIII., die nach ptolemäisch-ägyptischer Tradition in Geschwisterehe verbunden waren und um die Macht des ägyptischen Throns kämpften (Egidy 2002, S. 101; Rebenich 2010, S. 178). Als Caesar 48 v. Chr. bei der Verfolgung seines Gegners Pompeius nach Alexandria kam, verstrickte er sich in die Auseinandersetzungen und schlug sich auf die Seite Kleopatras (Rebenich 2010, S. 178). Im Verlauf des Konflikts, ließ er im Hafen liegende Schiffe anzünden, wobei das Feuer unabsichtlich auf die Stadt und schließlich auch die Bibliothek übergesprungen sein soll (Kusch 2012; Rebenich 2010, S. 178).

Inzwischen scheint diese Version unwahrscheinlich. Der Brand der Bibliothek zu diesem Zeitpunkt wird weder von Caesar selbst noch von zeitgenössischen Autor*innen bestätigt, auch archäologische Funde gibt es nicht (Klein 2018; Kusch 2012). Wahrscheinlicher ist, dass lediglich ein im Hafen liegender Speicher mit zwischengelagerten Schriftrollen von dem Brand betroffen war und somit nur ein Teil des Bestands zerstört wurde (Egidy 2002, S. 101; Klein 2018). „Das Museion gab es [schließlich] auch nach dem Brand” (Klein 2018).

Version 2: Zerstörung während Kämpfen im 3. Jahrhundert

Oft vermutet wird, dass die Bibliothek „bei Kämpfen zwischen dem römischen Kaiser Aurelian und Zenobia, der Herrscherin von Palmyra” zugrunde ging (Rebenich 2010, S. 178). Sicher ist, dass 272 n. Chr. in diesem Zusammenhang das Palastviertel zerstört wurde (Kusch 2012). Da sich das Museion und die Bibliothek ebenfalls dort befanden, ist es gut möglich, dass auch sie den Kämpfen zum Opfer fielen. Auch hier soll es einen Brand gegeben haben (Kusch 2012).

Möglich ist außerdem „ein schleichender Niedergang” (Klein 2018). So kann es sein, dass die Bibliothek zwar nicht vollständig zerstört, jedoch schwer mitgenommen wurde, und es in der folgenden Zeit schlicht an Interesse und Ressourcen fehlte, sie zu erhalten oder gar wieder zu vergrößern (Klein 2018).

Version 3: Vernichtung aus religiösen Gründen

Vermutlich ein Mythos ist, dass der Untergang der Bibliothek religiöse Motive hatte. Infrage kommen dabei im vierten Jahrhundert zunächst die Christen, welche sich der heidnischen Traditionen und den heidnischen Wissenschaftsbetrieb entledigen wollten (Egidy 2002, S. 101; Musa 2010). 391 n. Chr. zerstörten sie das Sarapeion (lat. Serapeum), einen Tempel für die ägyptische Gottheit Sarapis, und die in ihm enthaltenen Zehntausenden Schriftrollen (Musa 2010; Rebenich 2010, S. 172, 178). Die Zerstörung der Bibliothek durch die Christen, falls diese zu diesem Zeitpunkt noch existierte, kann nicht bestätigt werden.

Eine Vernichtung aus religiösen Gründen unterstellen einige auch dem arabischen Volk des siebten Jahrhunderts. Nach langer Zeit der Belagerung hatten sie Alexandria um 640 n. Chr. schließlich erobert. Anschließend hätten sie all jenes schriftlich festgehaltene Wissen zerstört, das nicht mit den Aussagen des Korans übereingestimmt haben soll (Musa 2010; Rebenich 2010, S. 178). Aufgeschrieben findet sich diese Version jedoch erst im 13. Jahrhundert und ist daher höchstwahrscheinlich Kreuzzugpropaganda (Klein 2018; Rebenich 2010, S. 178).

3 Die neue „Bibliotheca Alexandrina”

Die antike Bibliothek „war und ist Vorbild für umfassende Büchersammlungen in den Diensten von Forschung und Lehre” (Rebenich 2010, S. 179). Die 2002 vom Direktor Ismael Serageldin nach langjähriger Planung und Bauzeit neueröffnete „Bibliotheca Alexandrina” knüpft bewusst an die damalige Tradition an (Egidy 2002, S. 101; Kusch 2012). „Dabei sollen nicht ihre Bestände rekonstruiert, sondern ihre Bedeutung als geistig-kulturelles Zentrum für den Mittelmeerraum wieder belebt werden” (Egidy 2002, S. 101). Neben einer großen Menge an Büchern bietet die Bibliothek heutzutage auch viele Veranstaltungen wie Konferenzen, Workshops, Konzerte und Dialoge mit Kindern an (Bibliotheca Alexandrina 2024a; Blendinger 2007). Es soll eine neue Generation von Menschen angesprochen werden. Themen wie Umweltschutz und internationale Friedenspolitik dürfen da nicht fehlen (Musa 2010). Zudem setzt sie „voll und ganz auf digitale Medien” (Musa 2010), lässt Nutzende z.B. an Bildschirmen in digitalisierten Manuskripten blättern und verwahrt eine Sicherungskopie der Daten des Internetarchivs (Blendinger 2007; Musa 2010).

Die neue Bibliotheca Alexandrina möchte ein Ort sein, der den Weg wieder freimacht für einen offenen Wissensaustausch, sowie Lernen, Verständnis und einen gleichberechtigten Dialog zwischen Kulturen und Völkern ermöglicht (Bibliotheca Alexandrina 2024b; Musa 2010).

Literatur

BIBLIOTHECA ALEXANDRINA, 2024a. News [online]. Alexandria: Bibliothek Alexandrina, 19.11.2024 [Zugriff am: 20.11.2024]. Verfügbar unter: https://www.bibalex.org/en/news/index

BIBLIOTHECA ALEXANDRINA, 2024b. About the BA [online]. Alexandria: Bibliotheca Alexandrina [Zugriff am: 20.11.2024]. Verfügbar unter: https://www.bibalex.org/en/Page/About

BLENDINGER, Luisa, 2007. Neue Bibliothek von Alexandria [online]. Nürnberg: Tessloff Verlag, 10.10.2007 [Zugriff am 12.11.2024]. Verfügbar unter: https://www.tessloff.com/was-ist-was/archiv/Sport-und-Kultur/Medien/neue-bibliothek-von-alexandria.html

EGIDY, Berndt von, 2002. Von der Entwicklung eines Königsprojekts: Die neue Bibliothek in Alexandria. In: BuB [online]. 54(2), S. 99-103 [Zugriff am 21.11.2024]. Universal Multimedia Electronic Library. ISSN 1869 -1137. Verfügbar unter: https://zs.thulb.uni-jena.de/servlets/MCRFileNodeServlet/jportal_derivate_00333064/BIB_BUB_2002_02_099_103.pdf

KLEIN, Jesper, 2018. Bibliothek von Alexandria: Ende ohne Schrecken. In: Süddeutsche Zeitung [online]. 29.12.2018 [Zugriff am 12.11.2024]. Verfügbar unter: https://www.sueddeutsche.de/kultur/bibliothek-alexandria-aegypten-antike-caesar-papyrus-islam-pharaonen-1.4232218

KUSCH, Regina, 2012. Ein Zentrum des Wissens in der Antike [online]. Köln: Deutschlandradio, 04.01.2012 [Zugriff am: 20.11.2024]. Verfügbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/ein-zentrum-des-wissens-in-der-antike-100.html

MUSA, Bernd, 2010. Bibliothek von Alexandria: Die gewagte Mission des neuen Wissenstempels. In: SPIEGEL Wissenschaft [online]. 25.04.2010 [Zugriff am 21.11.2024]. Verfügbar unter: https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/bibliothek-von-alexandria-die-gewagte-mission-des-neuen-wissenstempels-a-690061.html

PAPASIMOS, Sokrates 2014. Hypatia: Die Sonne als Zentrum der Planentenbahnen: Schon zu Lebzeiten genoss die außergewöhnliche Naturwissenschaftlerin einen legendären Ruf. In: Deutsches Ärzteblatt [online]. 23.05 2014 [Zugriff am: 03.12.2024]. Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/160279/Hypatia-Die-Sonne-als-Zentrum-der-Planetenbahnen

REBENICH, Stefan, 2010. Alexandria – die Stadt (jenseits) der Bibliothek. In: HÖLKESKAMP, Karl-Joachim und Elke STEIN-HÖLKESKAMP, Hrsg. Die griechische Welt: Erinnerungsorte der Antike. München: Verlag C.H.Beck. S. 170-185. ISBN 978-406-60496-6

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2025-02-04